Berlin-Film-Katalog (in Vorbereitung)

Raritäten des Monats November 2015

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Im November gab es, in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Berlin und mit freundlicher Unterstützung durch ZDF/arte, an vier Montagen dieses Monats das Sonderprogramm

Berlin im Stummfilm 1926-1929

mit vier – teils nicht so raren – Spielfilmen zu der bis Ende Januar 2016 im Ephraim-Palais zu sehenden Sonderausstellung „Tanz auf dem Vulkan – Das Berlin der zwanziger Jahre im Spiegel der Künste“:

 

Menschen untereinander

D 1925/1926 – ca. 120 Min. – Schwarzweiß
Regie: Gerhard Lamprecht. Manuskript: Luise Heilborn-Körbitz. Photographie: Karl Hasselmann. Bauten: Otto Moldenhauer. Aufnahmeleitung: Ernst Körner.
Darsteller: Käte Haack, Lydia Potechina, Erika Glässner, Margarete Kupfer, Elsa Wagner, Olga Limburg, Grit Haid, Serah Achmed, Aud Egede Nissen, Renate Brausewetter, Johanna Ewald, Hermine Sterler, Mathilde Sussin, Maria Forescu, Hilde Schewior, Julie Serda, Luise Werckmeister, Senta Eichstädt, Max Maximilian, Erich Kaiser-Titz, Berthold Reißig, Paul Bildt, Alfred Abel, Eduard Rothauser, Hugo Flink, G.A. Semmler, Heinrich Schroth, Aribert Wäscher, Andres Bull, Karl Platen, Hans Junkermann, Albert Paulig, Hubert von Meyerinck, Hermann Picha, Kurt Vespermann.
Produktion: National-Film. Hergestellt von der Gerhard Lamprecht Film-Produktion GmbH.

Ein Panorama des Lebens und Treibens in einem Berliner Mietshaus. Das Drama entstand als einer der „Milljöh“-Filme, mit denen Gerhard Lamprecht in den zwanziger Jahren den Berliner Alltag, insbesondere jenen der „kleinen Leute“ und der Unterprivilegierten, wiederzugeben versuchte. Lamprecht, der „Menschen untereinander“ auch produzierte und an dessen Drehbuch mitgewirkt haben soll, drehte diesen Film unter anderem in Joe Mays Weißenseer Filmatelier an der heutigen Liebermannstraße. Später schuf Lamprecht so bekannte und bedeutende Berlin-Filme wie 1931 die erste Adaption von „Emil und die Detektive“ oder 1946 den Trümmerfilm „Irgendwo in Berlin“. Die filmhistorische Sammlung, die er seit seiner Jugendzeit aufgebaut hatte, bildete den Grundstock für die 1963 gegründete Deutsche Kinemathek.

Am 2. November 2015 um 18 Uhr. Mehr zu diesem Film hier.

 

Abwege

D 1928 – ca. 98 Min. – Schwarzweiß
Regie, Georg Wilhelm Pabst. Buch: Adolf Lantz, Ladislaus Vajda, Helen Gosewisch, nach einem Entwurf von Franz Schulz. Kamera: Theodor Sparkuhl. Schnitt: Mark Sorkin, Georg Wilhelm Pabst. Bauten: Hans Sohnle, Otto Erdmann.
Darsteller: Gustav Diessl, Brigitte Helm, Herta von Walther, Jack Trevor, Fritz Odemar, Nico Turoff, Ilse Bachmann, Richard Sora, Peter Leschka, Irm Cherry, Irma Green, Tita Christescu, Jimmy Lygelt.
Produktion: Erda-Film GmbH, Berlin.

Mit „Die freudlose Gasse“, einem seiner ersten Filme, war Georg Wilhelm Pabst 1925 zu einem wichtigen Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“ avanciert, die damals in Deutschland auch im Kino ihren Siegeszug antrat und den zunehmend zur Mode herabgesunkenen Expressionismus verdrängte. Äußerst unterkühlt und kalkuliert geht es auch in diesem Ehe- und Psychodrama zu, wodurch der lange verschollene Film recht modern wirkt. Im Laufe des Geschehens gibt sich eine ebenso verwöhnte wie gelangweilte Anwaltsgattin den Verlockungen des Großstadtlebens hin: sie stürzt sich ins Nachtleben, nimmt Drogen und flirtet heftig mit einem Boxer. Schließlich provoziert sie sogar die – gesellschaftlich damals nur in engen Grenzen akzeptierte – Scheidung.

Am 9. November 2015 um 18 Uhr. Mehr zu diesem Film hier.

 

Asphalt

D 1928/1929 – ca. 94 Min. – Schwarzweiß
Regie: Joe May. Buch: Fred Majo, Hans Székely, Rolf Vanloo. Kamera: Günther Rittau. Bauten: Erich Kettelhut. Kostüme: René Hubert.
Darsteller: Albert Steinrück, Else Heller, Gustav Fröhlich, Betty Amann, Hans Adalbert Schlettow, Hans Albers, Arthur Duarte, Paul Hörbiger, Trude Lieske, Karl Platen, Rosa Valetti, Hermann Vallentin, Curt Vespermann.
Ein Joe-May-Film der Erich-Pommer-Produktion der Ufa.

Ein Polizist (und Polizistensohn) erliegt einer schönen Juwelendiebin und droht ihretwegen auf die schiefe Bahn zu geraten. Nicht dieser melodramatischen Handlung wegen wurde Joe Mays künstlerisch wohl ambitionierteste Produktion, entstanden ganz am Ende der Stummfilmzeit, zu einer seiner berühmtesten und zugleich zu einem der bekanntesten Berlin-Filme: Wichtiger war, wie man hier – wo wie üblich in damaligen „Straßenfilmen“ die Gefahren der Großstadt thematisiert wurden – das pulsierende Berliner Straßenleben mit großem Aufwand im Studio nachstellte und mit der Kamera einfing.

Am 16. November 2015 um 18 Uhr. Mehr zu diesem Film hier.

 

Mutter Krausens Fahrt ins Glück

D 1929 – ca. 133 Min. – Schwarzweiß
Regie, Kamera: Piel [d.i. Phil] Jutzi. Architekten: Robert Scharfenberg und Karl Haacker. Nach Erzählungen von Heinrich Zille, berichtet von seinem Freund Otto Nagel und für den Film bearbeitet von Dr. [Willy] Döll und J. [d,i. Jan] Fethke in Gemeinschaft mit dem Prometheus-Kollektiv. Die Aufnahmen erfolgten zum großen Teil an den Stätten, an welchen Heinrich Zille die Motive seiner unvergänglichen Werke fand.
Darsteller: Alexandra Schmitt, Holmes Zimmermann, Ilse Trautschold, Gerhard Bienert, Vera Sacharowa, Friedrich Gnaß, Fee Wachsmuth.
Produktion, Verleih: Prometheus-Film.

Dem großen Menschen und Künstler Prof. Heinrich Zille gewidmet.
Unter dem Protektorat von Prof. Käthe Kollwitz M.d.A. und Prof. Hans Baluschek und der praktischen Mitarbeit des Wedding-Malers Otto Nagel.

Wenn überhaupt, tauchte das Proletariat oder gar das Subproletariat im deutschen Spielfilm vor 1945 nur am Rande auf oder in sentimental oder komödiantisch verbrämter Form. Schon insofern nimmt dieser Spielfilm, der auf Anregung Heinrich Zilles entstand und ihm gewidmet wurde, eine Ausnahmestellung ein. Fast noch ungewöhnlicher war das politisch linke Engagement, das er ausdrückt und fördern wollte mit der erschütternden, zumal völlig unsentimentalen Schilderung des Proletarierelends in den Weddinger Mietskasernen (noch bevor sich dieses durch die Weltwirtschaftskrise weiter verschlimmern sollte). Dabei verstand Phil Jutzi, der sonst nur noch mit der ersten Adaption von „Berlin Alexanderplatz“ (1931) auffallen sollte, dass die Botschaft um so besser vermittelt werden kann, wenn zugleich die Machart überzeugt und schuf einen der auch künstlerisch gelungensten Filme der Weimarer Republik.

Am 23. November 2015 um 18 Uhr. Mehr zu diesem Film hier.

 

Zu jedem Film gab es eine kurze Einführung.

Den Flyer zu dieser Veranstaltungsreihe finden Sie hier.

 

 

 

 

Quellen der filmographischen Angaben:
„Menschen untereinander“: Vorspann der 2013 uraufgeführten rekonstruierten und digitalisierten Fassung. Auf http://www.filmportal.de/film/menschen-untereinander_24d974ad5f044dbf804c140f3ba62732 (besucht am 25.10.2015) werden als Drehbuchautoren außerdem Gerhard Lamprecht und Eduard Rothauser genannt.
„Abwege“: Vor- und Abspann der rekonstruierten, 1998 restaurierten Fassung.
„Asphalt“: Originalvorspann.
„Mutter Krausens Fahrt ins Glück“: Darsteller: http://www.filmportal.de/film/mutter-krausens-fahrt-ins-glueck_66475e15a1e9463db727f328c7d20b0a (besucht am 25.10.2015), alle weiteren Angaben: Originalvorspann.

Bilder: Deutsche Kinemathek.

 

 

 

Rarität des Monats Oktober 2015

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 8.-10. und vom 12.-14. Oktober 2015 um 18 Uhr (am 12. in Anwesenheit von Lothar Lambert und Ulrike S. alias Schirm) lief

 

Die Liebeswüste

BRD 1986 – 61 Min. – 16 mm (1:1,33) – Schwarzweiß
Regie, Buch, Kamera, Ton, Schnitt, Produktion: Lothar Lambert. Kamera in der Rahmenhandlung: Eberhard Geick. Ton in der Rahmenhandlung und Mischung: Michael Eiler.
Darsteller: Dagmar Beiersdorf, Albert Heins, Doreen Heins, Michael Hülsmann, Abbas Kepekli, Lothar Lambert, Jessica Lanée, Hans Marquardt, Friederike Menche, Stefan Menche, Dorothea Moritz, Erika Rabau, Ulrike S., Dieter Schidor, Semra Uysallar.

 

In ihrer Einsamkeit, aber auch ihrer Egozentrik gefangene Menschen auf der verzweifelten Suche nach Nähe, Liebe, Sex, die beim Versuch, ihre Sehnsucht zu stillen, auch rabiat werden – und dennoch nicht bekommen, was sie wollen: Das gab’s doch schon bei Fassbinder? Ja, aber Lothar Lambert ging in seinen West-Berliner Undergroundfilmen der achtziger Jahre noch einen Schritt weiter, zeigte drastischer, düsterer und vor allem ungekünstelter das Elend mit den Gefühlen und die Liebes- und Kommunikationsunfähigkeit zwischen den Menschen. Den Höhe- und Endpunkt dieser Schaffensphase, zu der Arbeiten wie „Tiergarten“, „Die Alptraumfrau“, „Fucking City“ und „Fräulein Berlin“ gehören, stellt „Die Liebeswüste“ dar.

1986 entstanden, war dies zugleich der letzte Lambert-Film mit Ulrike S. in einer Hauptrolle. Danach wich in Lamberts Low-Budget-Produktionen die Tragik zunehmend der Tragikomik, gab es nicht mehr in jedem Film Tote, traten an die Stelle von Ein-Mann-Produktionen Zwei-Mann-Produktionen, bei denen der Umgang mit Bild und Ton weniger roh war.

Doch nicht nur aus filmhistorischen Gründen ist „Die Liebeswüste“ eine der interessantesten Arbeiten Lothar Lamberts: Da das Kopierwerk einen Großteil des ursprünglich geplanten Films zerstört hatte und ein Nachdreh schon aus finanziellen Gründen unmöglich war, ersann Lambert eine einfach-geniale Rahmenhandlung. In dieser zeigt er Dagmar Beiersdorf – über gut zwei Jahrzehnte hinweg seine engste künstlerische Partnerin –, dem befreundeten Produzenten Albert Heins (der gern auch vor der Kamera agierte) und seiner Hauptdarstellerin Ulrike S. am Schneidetisch die Filmreste und diskutiert mit den Dreien über diese Aufnahmen.

So sieht man hier nicht nur die Odyssee einer der geschlossenen Psychiatrie entflohenen stummen Frau durch West-Berlin und die Sehnsüchte, Nöte und bescheidenen Freuden anderer Großstadtneurotiker, die ihren Weg kreuzen. Sondern erfährt auch viel darüber, wie Lamberts Arbeiten damals gesehen, besprochen, angefeindet wurden und wie der Filmemacher darauf reagierte.

Auf diese Weise schuf der König des Berliner Undergroundfilms aus einer prekären Lage heraus eines seiner besten und aufschlußreichsten Werke, das inzwischen zu unrecht fast völlig in Vergessenheit geraten ist. Zugleich erzählt „Die Liebeswüste“ auch viel über den gesellschaftlichen Wandel in den vergangenen dreißig Jahren: Was seinerzeit noch als ungeheurer Tabubruch und dem Publikum kaum zumutbar galt, dürfte heute nur noch besonders zartbesaitete (und vor allem Internet-unerfahrene) Gemüter erschüttern.

Wir zeigten „Die Liebeswüste“ als Wunschfilm der Hauptdarstellerin Ulrike S. alias Ulrike Schirm, der wir damit nachträglich zum 70. Geburtstag gratulierten.

 

Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Weitere Informationen hier.

 

 

Ulrike Schirm (alias Ulrike S.) dazu, weshalb sie sich zu ihrem runden Geburtstag die Aufführung von „Die Liebeswüste“ gewünscht hat

Im Rückblick auf die Achtziger gehört heute „Die Liebeswüste“ zu meinen Lieblingsfilmen aus meiner Schaffensära mit Lothar Lambert.

Der Film verdeutlicht mein heißgeliebtes West-Berlin, so wie es heute kaum noch vorhanden ist. Es werden alte Erinnerungen wach und ich erlebe noch einmal das Wiedersehen mit einigen liebgewonnenen Darstellern, die leider nicht mehr leben. Außerdem war es eine ungewöhnliche Erfahrung, eine Person zu spielen, die den ganzen Film über kein einziges Wort spricht.

Mir fällt in dem Zusammenhang der Schlußsatz von Gena Rowlands in Woody Allens Film „Eine andere Frau“ ein: „Und ich frage mich, ob eine Erinnerung etwas ist, das man besitzt oder verloren hat.“

 

 

 

 

 

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J.G.

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Quelle der filmographischen Angaben: Originalvorspann.

Bilder: Lothar Lambert.