Berlin-Film-Katalog (in Vorbereitung)

Rarität des Monats Mai 2016

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 5.-11. Mai 2016 um 18 Uhr lief

 

Oben – unten

D 1993/1994 – 82 Min. – 35 mm (1:1,66) – Farbe
Autor, Regisseur und kleiner Polizist: Joseph Orr. Herstellungsleiter und Möbelträger vorn am Sofa: Frank Löprich. Produktionsleiterin und Kirchenreinigungskraft: Katrin Schlösser. 1. Aufnahmeleiter und Vater mit Kind: Marco Voß. 2. Aufnahmeleiterin und Partyfrau: Rebekka Bahr. Filmgeschäftsführerin und Hundefriseuse: Karin Fiedler. Produktionssekretärin: Katharina Wenzlaff. Regieassistentin, Script, Continuity und Frau auf den Rollerblades: Karin Wendlandt. Regieassistent und vermeintlicher Orgelspieler: Thomas Metzkow. 1. Kameraassistent und Mann mit der Meßlatte: Uwe Mann. 2. Kameraassistent und unsichtbarer Fotograf: Wolf Wachner. Tonmeister und Männer in der Straßenbahn: Siegfried Busza, Horst Mlynarkiewicz. Schnittassistenten: Heide Hans, Birgit Günther. Runner: Robert Harnapp. Runner, Fahrer und Plakatkleber: Dirk Pilz. Fahrer: Jochen Papke, Stefan Ehrhard. Praktikanten und Kirgisienfahrer: Alexander Schmidt, Jens-Uwe Schmidt. Catering: Sommerfeld Catering. Kopierwerk: DEFA Studio Babelsberg. Graphik: Lehmann, Moser + Rosié. Film-Ton-Technik: Gunther Kortwich. Filmmaterial: Kodak. Pyrotechnik: Roland Tropp. Maske: Babette Broseke. Kostüm und Frau in der Straßenbahn: Gertraud Wahl. Requisiteur und Kofferträger: Utz Neumann. Beleuchtungsmeister und Drucker vom Verlag: Wolfgang Hirschke. Beleuchter und Kirgisienfahrer: Jörg Langenlüttich. Bühnenmeister und Möbelträger hinten am Sofa: Frank Paupel. Ausstatter und Kollege mit der Rechnung: Lothar Holler. Ausstatter: Wolfram Gast. Gestaltung der Außendekoration: Berliner Bausenat. Musiktonmeister: Torsten Heider, Frank Wettstädt. Mischtonmeister: Martin Steyer. Redakteure: Nicole Kellerhals, Carl Bergengruen. Dramaturgie: Katrin Mandel, Cornelia Buhe. Schnittmeister: Bärbel Hohenwaldt, Joseph Orr. Musik: Bert Wrede. Kameramann und großer Polizist: Stefan Wachner.
Darsteller: Marco Bahr, Nadja Schulz, Sophie Rois, Eva Weißenborn, Bärbel Bolle, Gundula Köster, Thorsten Merten, Luc Feit, Heidi Joschko, Herbert Weißbach, Eva Ebner, Rudolf Frickau, Klaus Nierhoff, Uta-Maria Torp, Jochen Menzel, Arnim Beutel, Sebastian Reusse, Bert Resalla, Astrid Pochmann, Rainer Frank, Siegfried Hechler, Alexander Runkewitz, Gombosuren, Karl-Heinz Eckert, Frank Dragun, Christoph Hoffmann, Maria Terzopulu, Anja Glaser, Olaf Kiesow, Margarete Hippler, Gerhard Hippler. Special Guests: Jürgen Kuttner, Ronny Galenza, Volker Koepp.
Ein Ö-Film produziert von Frank Löprich & Katrin Schlösser.

Vorführung einer 35-mm-Kinofilmkopie.

 

„Ich bin eigentlich überhaupt nicht dieser ausgesprochen depressive Typ. Dieser Typ, der immer auf der Seife ausrutscht und gestreifte Schlafanzüge trägt. Das bin ich auf keinen Fall. Ich trage nie Schlafanzüge. Weil ich sicher bin, daß die Dinger irgendwie den Zerfall der Zellkerne beschleunigen.“

Franz, der sich mit diesem Off-Kommentar in den Film einführt, ist ein vielfältig geplagter Großstadtneurotiker: Er möchte nicht nur irgendwelche Bücher machen, sondern Bücher, die eine Bedeutung haben. Leider gibt es dafür nicht genügend Käufer. Außerdem steht sein fast bankrotter Kleinverlag „ARTiSCHOCK“ vor dem Rauswurf aus seinen Räumen, denn die Sanierung des Hauses ist schon im vollen Gang – die Bauarbeiter wollen in die Verlagsräume einen Betonmischer stellen. Dann wurde Franz auch noch von seiner Freundin und Kollegin verlassen (ausgerechnet für einen Vegetarier!) und seine demente Nachbarin demoliert regelmäßig seine Wohnung. Als er in einer vorbeifahrenden Straßenbahn eine wunderbare Frau erblickt, will er diese unbedingt wiedersehen und begibt sich auf die Suche nach ihr. Er ahnt nicht, wie nah sie ihm längst ist: Lisa lebt neuerdings in der Wohnung unter ihm, renoviert diese lautstark, und sie leitet die Baustelle rund um die Verlagsräume.

Mit seinem Diplomfilm an der Potsdamer Filmhochschule schuf Joseph Orr (Jahrgang 1960) eine leichthändig inszenierte, vergnügliche Tragikomödie, die zudem einen guten Eindruck vermittelt vom Leben am Prenzlauer Berg in den Neunzigern – zwischen fortdauerndem Verfall, der auch ein Refugium für Aussteiger bot, und beginnender Gentrifizierung. Der Streifen bietet außerdem eine Fülle von Cameoauftritten anderer Film- oder sonstiger Kulturschaffender, so Jürgen Kuttner als Bauarbeiter oder Volker Koepp als Nebenbuhler.

Christoph Terhechte fand im „Tip“ Nr. 3/95: „und plötzlich bekommt man einen Eindruck davon, wie Aki Kaurismäkis Filme aussähen, wäre der Finne kein Finne, sondern ein Berliner aus dem Prenzlberg. Joseph Orr ist mit ‚Oben – unten’ der vielbeschworenen tragikomischen Qualität dicht auf der Spur, trotz vieler verzeihlicher Schwächen seines sympathischen Regiedebüts.“ Und Carla Rohde resümierte im „Tagesspiegel“ vom 28. Januar 1995: „ein Regiedebüt als Hoffnungsschimmer für den deutschen Film.“

Uraufgeführt auf der Berlinale 1994 (in der Reihe „Neue deutsche Filme“), geriet der Film völlig zu unrecht lange Zeit in Vergessenheit. Er ist bislang nicht auf DVD oder Blu-ray verfügbar.

 

Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

 

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J.G.

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Quelle der filmographischen Angaben: Originalabspann.

Bilder: Ö Film.

 

 

 

Rarität des Monats April 2016

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 11.-17. April 2016 um 18 Uhr lief

 

Lots Weib

DDR 1965 – 106 Min. (2903 m) – 35 mm (1:2,35) – Schwarzweiß
Regie: Egon Günther. Drehbuch: Egon Günther, Helga Schütz. Kamera: Otto Merz. Szenenbild: Werner Zieschang. Bauausführung: Helfried Winzer. Musik: Karl-Ernst Sasse. Kostüme: Lydia Fiege. Masken: Kurt Tauchmann, Edeltraud Schöttler. Ton: Kurt Eppers. Schnitt: Christa Stritt. Regieassistenz: Lothar Warneke. Kameraassistenz: Klaus Goldmann. Aufnahmeleitung: Heinz Fröhlich, Gerrit List.
Darsteller: Marita Böhme, Günther Simon, Gerry Wolff, Rolf Römer, Klaus Piontek, Wolfgang Greese, Arthur Jopp, Walter E. Fuß, Werner Wieland, Harry Hindemith, Herbert Köfer, Elsa Grube-Deister, Evamaria Bath, Ilse Voigt, Marianne Christine Schilling, Hans Klering, Hans Hardt-Hardtloff, Albert Zahn, Rudolf Brock, Bodo Schnoor, Reinhard Butz, Henrik Groß, Steffen Rüsicke.
DEFA Studio für Spielfilme, Gruppe Roter Kreis. Produktionsleitung: Hans Mahlich.
Premiere: 26. August 1965, Berlin, Kino International.

Vorführung einer 35-mm-Kinofilmkopie.

 

Katrin Lot will die Scheidung. Unbedingt. Doch daß ihr eine Ehe ohne Liebe sinnlos erscheint, betrachtet weder ihr Mann als triftigen Scheidungsgrund noch irgendein Anwalt oder Gericht. Ihr Gatte, ein an der Ostsee stationierter Marineoffizier, der nur an den Wochenenden vorbeischaut (und wie Katrin SED-Mitglied ist), möchte der Scheidung vor allem deshalb nicht zustimmen, weil er sich im gewohnten Trott seines Lebens (samt außerehelicher Abwechslung) bequem eingerichtet hat und fürchtet, sein Ansehen könnte durch eine Trennung beschädigt werden. Die junge, gutsituierte Ost-Berlinerin – Turnlehrerin (was natürlich auch metaphorisch gemeint ist) und zweifache Mutter mit schicker Neubauwohnung – läßt sich aber von ihrem Vorhaben nicht abbringen, trotz aller Überredungsversuche, die von verschiedenster Seite unternommen werden und bei der man sie immer wieder als „Kind“ und „Mädchen“ tituliert. Schließlich schafft sie Tatsachen, ohne Rücksicht auf Verluste.

Egon Günthers („Der Dritte“, „Lotte in Weimar“) erste Solo-Regiearbeit, zu der er mit seiner damaligen Lebensgefährtin Helga Schütz auch das Drehbuch verfaßt hat, wurde Mitte 1965 mit umfangreicher, strategisch geplanter Öffentlichkeitsarbeit in die DDR-Kinos gebracht und sollte zur Diskussion über die Ehe im SED-Staat anhalten.

Mit seiner gesellschaftskritischen Haltung, aber auch der Freude an formalen Experimenten ist das Drama ein typischer Vertreter der Mitte der sechziger Jahre – in der kurzen Phase einer leichten Liberalisierung nach dem Mauerbau – produzierten DEFA-Gegenwartsfilme. So werden in „Lots Weib“ nicht nur die privaten Sitten und Gebräuche hinterfragt: Einen Höhepunkt stellt eine Lehrerkonferenz dar, auf der über Katrin Lot noch einmal zu Gericht gesessen wird. Dabei tut sich der junge Parteisekretär zwar besonders hervor, stößt allerdings mit seiner ehrlichen, kritischen Haltung auf das Mißfallen und den Widerstand der anderen Mitglieder, die die Angelegenheit nur schnell in der üblichen Weise abhandeln wollen – und erwägen, bei nächster Gelegenheit einen anderen, bequemeren Sekretär zu wählen.

Nicht nur dieser Szene wegen wäre wenige Monate nach der Premiere womöglich auch diese, mit damaligen Stars besetzte Produktion statt groß beworben zu werden, eher im Giftschrank gelandet – wie schon „Das Kleid“, bei dem Günther als Co-Regisseur fungiert hatte, und sein nächster Film „Wenn du groß bist, lieber Adam“.

Das im Scopeformat (DDR-Jargon: „Totalvision“) photographierte Werk fällt auch durch seine ambitionierte, zumal für DEFA-Verhältnisse ungewöhnliche Bildgestaltung auf, mit der offenkundig ein Gegenpol zu jener Dialoglastigkeit geschaffen werden sollte, die bei diesem Stoff nahelag.

 

Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

 

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J.G.

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Quelle der filmographischen Angaben: Datum und Ort der Premiere: „Neues Deutschland“ (Berliner Ausgabe) vom 26. und vom 27. August 1965. Filmlänge, Filmformat, Bildformat: http://www.filmportal.de/film/lots-weib_746757352fd241de96733bc2c9ccd85d (besucht am 8.3.2016). Nachnamen der Kinderdarsteller Henrik Groß und Steffen Rüsicke: „Filmspiegel“ Nr. 7 vom 7. April 1965. Alle anderen Angaben: Originalvorspann.

Bilder: DEFA-Stiftung/Horst Blümel.