Berlin-Film-Katalog (in Vorbereitung)

Rarität des Monats April 2018

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 9.-11. April 2018 um 18 Uhr lief

 

Der Fackelträger

DDR 1955 – 82 Min. (2240 m) – 35 mm (1:1,33) – Schwarzweiß
Regie: Johannes Knittel. Buch: Friedrich Hartmann, Walter Jupé. Kamera: Günter Eisinger. Bauten: Herbert Nitzschke. Musik: Gottfried Madjera. Kostüme: Dorit Gründel. Masken: Franz Richter, Kurt Jerzynski. Schnitt: Johanna Rosinski, Walli Gurschke. Ton: Albert Kuhnle. Regieassistenz: Gertraude Acker-Thiess. Aufnahmeleitung: Erich Kühne, Otto Schröder.
Darsteller: Hermann Kiessner (Dr. Sänger), Loni Michelis (seine Frau), Friedrich Gnass (Kabischke), Harry Hindemith (Dr. Hartmann), Horst Kube (Johannes), Ruth M. Kubitschek (Dora), Georg Thies (Gottfried), Margret Homeyer (Ingeborg), Norbert Christian (Grosskopf [Assessor]), Charlotte Brummerhoff (Bittrich), Horst Schönemann (Dr. Schleitz), Wolf Beneckendorff (Generalstaatsanwalt), Hans Hamacher (Senator), Annemarie Hase (Ziebusch), Wolfgang Parge (Schulze III), Gert M. Henneberg (Schulze IV) und weitere Mitwirkende.
Produktion: VEB DEFA. Produktionsleitung: Richard Brandt.

Erstverleih: Progress.

Kinostart: 25. Oktober 1957.

 

In den fünfziger Jahren entwickelten die Stasi, ihre Vorgänger und ihre sowjetischen Freunde einige Routine darin, ihnen mißliebige Personen aus West-Berlin in den Osten zu locken oder auch gewaltsam dorthin zu entführen, um ihnen dann – mal groß aufgezogen, mal im Geheimen – den Prozeß zu machen.

Besonderes Aufsehen erregte im Juli 1952 die Verschleppung des Juristen Walter Linse: Um diese (mit einiger Gewalt) zu bewerkstelligen, hatte die Stasi ordinäre Kriminelle engagiert, die sich als wenig zuverlässig erwiesen, obwohl sie nicht nur mit neuen Identitäten und Wohnorten großzügig versorgt wurden. Einer von ihnen fuhr im März 1953 zu einem seit längerem geplanten „Bruch“ nach West-Berlin, wurde verraten und verhaftet. Im folgenden Prozeß konnte dank des auskunftsfreudigen Angeklagten die Entführung Linses, der im Geheimen im Dezember 1953 in Moskau hingerichtet wurde, detailliert rekonstruiert und eindeutig der Stasi zugeordnet werden. Das Verfahren vor dem (West-) Berliner Landgericht endete am 4. Juni 1954.

Der fertige Film wurde fast zwei Jahre lang zurückgehalten und dann nur ganz geräuschlos in die Kinos gebracht; im Ostteil Berlins und im nahen Umland der Stadt war er überhaupt nicht zu sehen. Als Gründe genannt werden heute Bedenken hinsichtlich der Qualität des Streifens, der rasch in Vergessenheit geriet, sowie Rücksichtnahmen auf die Tagespolitik. Womöglich spielte aber auch eine Rolle, wie offen hier (wenngleich durch die „Bösen“) Dinge benannt werden, die in der DDR eigentlich tabu waren. Versteckte Opposition ist dahinter nicht zu vermuten, eher allzu große Selbstgefälligkeit: Einer der beiden Drehbuchautoren war Friedrich Karl Kaul, der wohl prominenteste Anwalt der DDR, ein linientreuer Jurist, der der SED hervorragende Dienste auch dadurch leistete, dass er auch an westlichen Gerichten zugelassen war. Mit der Filmfigur des wackeren Anwalts Dr. Hartmann hat Kaul (der „Hartmann“ auch als Pseudonym wählte) quasi ein Selbstportrait geschaffen, mit dem Oberstaatsanwalt Sänger seinen damaligen West-Berliner Gegner Cantor karikiert. Der Mißerfolg des Films, der mit bemerkenswert vielen Schauspielern besetzt war, die in West-Berlin lebten oder später in den Westen gingen, schadete Kaul nicht: Mit seinem Co-Drehbuchautor Walter Jupé setzte er sein Filmschaffen beim DDR-Fernsehen lang und umfangreich fort.

 

Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Mehr zu dem Film hier und hier.

 

 

 

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J.G.

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Quellen der filmographischen Angaben: Produktionsjahr: Neues Deutschland (Berliner Ausgabe) vom 1.12.1955. Kinostarttermin: Deutsche Filmkunst Nr. 3/1958. Filmlänge, Film- und Bildformat: https://www.filmportal.de/film/der-fackeltraeger_42764a66dc144152875bb56fd2ef6f9c (besucht am 21.3.2018). Alle anderen Angaben: Originalvorspann.

Bilder: DEFA-Stiftung/Rudolf Meister.